KI erkennt Gehirntumore mit einer Präzision von 99%!
7 mins read

KI erkennt Gehirntumore mit einer Präzision von 99%!

Im Jahr 2025 erforderte die Diagnose von Hirntumoren häufig riskante chirurgische Biopsien oder invasive Gewebeentnahmen, insbesondere bei tief gelegenen Tumoren in empfindlichen Hirnbereichen. Ein neuartiges KI-Modell – genannt crossNN – entwickelt von Forschern der Charité – Universitätsmedizin Berlin, bietet jedoch eine sicherere, schnellere und präzisere Alternative. Mithilfe genetischer Informationen aus zugänglichen Flüssigkeiten wie Liquor (Zerebrospinalflüssigkeit) erkennt crossNN Hirntumore mit über 99 % Genauigkeit – und verhindert so möglicherweise die Notwendigkeit eines chirurgischen Eingriffs. In diesem Artikel erklären wir, wie dieses moderne KI-System funktioniert, welche Bedeutung es für die Krebsdiagnostik und -behandlung hat und warum es zukünftig die nicht-invasive Krebskennung revolutionieren könnte.


1. Warum traditionelle Hirntumor-Diagnosen riskant bleiben

Die Grenzen der chirurgischen Biopsie

Die herkömmliche Diagnose basiert auf chirurgischen Eingriffen, bei denen Tumorgewebe zur mikroskopischen und molekularen Analyse entnommen wird. Doch diese Eingriffe bergen erhebliche Risiken wie Blutungen, Infektionen oder dauerhafte neurologische Schäden – besonders, wenn sich der Tumor nahe des Hirnstamms oder dem Sehnerv befindet.

Ein konkretes Beispiel aus der Praxis: Ein Patient mit Doppeltsehen stellte sich mit einem Tumor in einer schwer zugänglichen, tief liegenden Region vor. Aufgrund des hohen Risikos verzichteten die Ärzte auf eine Biopsie. Selbst wenn Gewebeproben entnommen werden, können histologische Untersuchungen allein die molekulare Komplexität des Tumors oft nicht vollständig erfassen, was Fehldiagnosen begünstigt.

Warum Präzision entscheidend ist

Moderne Krebstherapien zielen gezielt auf spezifische genetische Veränderungen oder Signalwege im Tumor ab. Die Wahl der richtigen Behandlung – sei es eine maßgeschneiderte Chemotherapie, gezielte Hemmstoffe oder die Teilnahme an klinischen Studien – hängt von einer präzisen Tumorklassifikation ab. Eine Fehldiagnose, wie etwa die Verwechslung eines Hirnlymphoms mit einem Gliom, kann die Therapie erheblich beeinträchtigen und die Behandlungsergebnisse stark verschlechtern.


2. KI trifft Epigenetik – sicherer und smarter

Epigenetischer Fingerabdruck – was ist das?

Unsere DNA ist nicht nur ein kodierter Bauplan – sie wird durch epigenetische Modifikationen (Methylierungsmuster) reguliert, die wie eine zelluläre Erinnerung funktionieren und entscheiden, welche Gene ein- oder ausgeschaltet sind. Tumore weisen häufig einzigartige epigenetische Signaturen auf, die sie vom gesunden Gewebe unterscheiden. Die Sequenzierung dieser Methylierungsmarken kann als charakteristischer „Fingerabdruck“ zur Tumoridentifikation dienen.

Liquid Biopsy: Der nicht-invasive Zugang

Anstelle einer operativen Gewebeentnahme können Ärzte heute Liquorflüssigkeit durch eine Lumbalpunktion entnehmen – eine deutlich weniger invasive Methode. Diese wird als Liquid Biopsy bezeichnet. Obwohl Hirntumoren weniger zirkulierende DNA-Fragmente im Blut freisetzen, liefert der Liquor eine reichhaltige Quelle tumor-spezifischer DNA, die sich ideal für tiefgehende Analysen eignet. Aktuelle Übersichtsarbeiten bestätigen, dass Liquid Biopsy einen minimal-invasiven Weg bietet, um Tumorheterogenität, Therapieansprechen und Rückfälle zu beurteilen.

Die Rolle der KI

Die Analyse hunderter Tausend Methylierungsdatenpunkte übersteigt menschliche Kapazitäten. Hier kommt crossNN ins Spiel: Das KI-Modell wurde entwickelt, um große epigenetische Datensätze zu verarbeiten und unbekannte Tumorprofile mit Tausenden von Referenzdaten aus verschiedenen Sequenzierplattformen zu vergleichen.


3. crossNN setzt neue Standards

Training und Validierung

  • Über 8.000 Referenz-Tumorproben, jeweils auf DNA-Methylierung analysiert. (Quelle: Bioengineer.org)
  • Über 5.000 Tumorproben zur Validierung herangezogen, sequenziert mit unterschiedlichen Methoden. (Quelle: Medical Xpress)

Unglaubliche Genauigkeit

  • 99,1 % Genauigkeit bei der Klassifikation von Hirntumoren
  • 97,8 % Genauigkeit bei der Unterscheidung von über 170 Tumorarten aus allen Organen, was es ideal für eine umfassende Pan-Krebs-Erkennung macht. (Quelle: Vocal Media Journal)

Diese Marker sind beeindruckend präzise – besser als frühere KI-Modelle – und das Modell bleibt klinisch nachvollziehbar, was eine wichtige Voraussetzung für den praktischen Einsatz ist.


4. Ein Patientenfall, der beweist, worauf es ankommt

Ein Patient, der unter Doppeltsehen litt, wurde mittels Liquid Biopsy mit Nanopore-Sequenzierung der Liquorflüssigkeit untersucht. Das crossNN-Modell identifizierte den Tumor schnell als Lymphom des Zentralnervensystems. Dank dieser nicht-invasiven Diagnose konnte das Ärzteteam sofort mit der passenden Chemotherapie beginnen und eine riskante Operation vollständig vermeiden. (Quelle: SciTechDaily)


5. Technologische Grundlage: Nanopore-Sequenzierung

Echtzeit-Analyse, plattformunabhängig

Die Nanopore-Sequenzierung ermöglicht eine DNA-Sequenzierung in Echtzeit mit langen Leselängen. Dadurch lassen sich genetische Mutationen und Methylierungsmuster gleichzeitig erfassen. Studien wie MethyLYZR zeigen, dass nanoporenbasierte epigenetische Klassifikatoren nahezu live arbeiten können – sogar während einer Operation.
Für das crossNN-Modell bedeutet das, dass Ergebnisse innerhalb von Stunden statt Tagen vorliegen können, was den hohen Wert für dringende klinische Entscheidungen erklärt.

Vergleich zu statischen Methoden

Traditionelle Methoden basieren auf statischen Arrays oder Kurzlese-Geräten. Die Kompatibilität von crossNN mit Nanopore-Technologie sorgt dafür, dass Ergebnisse schneller und leichter verfügbar sind – und zwar in unterschiedlichsten Umgebungen, von ambulanten Kliniken bis hin zu Operationssälen.


6. Weitreichende Auswirkungen auf die Krebsmedizin

Individuell zugeschnittene Therapien

Eine präzise epigenetische Tumor-Typisierung ermöglicht gezieltere Therapien, individuell angepasste Chemotherapie-Schemata und die Teilnahme an klinischen Studien – insbesondere bei seltenen Tumoren. Eine frühzeitige und genaue Diagnose verbessert die Wirksamkeit der Behandlung und erhöht die Überlebensraten der Patientinnen und Patienten.

Vorteile für das Gesundheitssystem

Nicht-invasive Methoden können Krankenhausaufenthalte, OP-Risiken und Kosten deutlich reduzieren. Darüber hinaus ermöglichen Liquid Biopsies eine kontinuierliche Überwachung der Tumorentwicklung – und übertreffen damit die Möglichkeiten herkömmlicher Bildgebungsverfahren bei Weitem.

Einsatz auf alle Krebsarten ausgedehnt

Da viele Tumoren schwer zugänglich sind, bietet crossNN eine breit einsetzbare, nicht-invasive Lösung. Klinische Studien an allen acht DKTK-Standorten in Deutschland sollen nun den Weg für die Integration von crossNN in den medizinischen Alltag ebnen.


7. Was kommt als Nächstes? Studien, Integration & Ausbau

Zukünftige klinische Studien

Gemeinsam mit dem DKTK (Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung) testet das Team crossNN an acht Standorten – sowohl diagnostisch als auch intraoperativ. (Quelle: kma online)

Nachvollziehbarkeit durch KI

Erklärbare KI ist in der Medizin von zentraler Bedeutung. Die Architektur von crossNN ermöglicht es Ärztinnen und Ärzten, diagnostische Entscheidungen nachzuvollziehen – ein entscheidender Schritt für regulatorische Zulassungen und das Vertrauen in der klinischen Praxis.

Internationale Perspektiven

Auch über Deutschland hinaus werden KI‑gestützte epigenetische Plattformen wie MethyLYZR derzeit evaluiert. Besonders vielversprechend sind nanoporenbasierte Verfahren für die Live-Klassifizierung von Tumoren – sie könnten schon bald intraoperative Entscheidungen weltweit beeinflussen.


8. Herausforderungen gezielt angehen

Geringe DNA-Ausbeute & Bioinformatik

Ein wesentliches Hindernis bei der Liquid Biopsy von ZNS-Tumoren (Tumore des zentralen Nervensystems) sind die niedrigen ctDNA-Konzentrationen (zirkulierende Tumor DNA) in Körperflüssigkeiten. Doch Fortschritte in der DNA-Extraktion und Datenverarbeitung verbessern die Sensitivität zunehmend. KI-gestützte Tools helfen zudem, die höhere Fehlerrate der Nanopore-Sequenzierung auszugleichen – und schaffen so ein Gleichgewicht zwischen Geschwindigkeit und Genauigkeit.

Standardisierung über Plattformen hinweg

Da crossNN verschiedene Sequenzierplattformen unterstützt, ist die Entwicklung einheitlicher Protokolle für Probenaufbereitung und Analyse entscheidend, um reproduzierbare Ergebnisse zu gewährleisten.

Validierung in vielfältigen Bevölkerungsgruppen

Groß angelegte, multizentrische Studien sind notwendig, um die Leistungsfähigkeit bei unterschiedlichen Patientengruppen und Tumor-Subtypen zu validieren. So wird sichergestellt, dass die Vorteile alle Menschen erreichen – unabhängig von Herkunft, Alter oder Seltenheit des Tumors.


Fazit: Ein neues Zeitalter der Krebsdiagnostik

Die Entwicklung von crossNN stellt einen Wendepunkt in der KI-gestützten Hirntumordiagnostik und der nicht-invasiven Krebsfrüherkennung dar. Mit hoher Genauigkeit, plattformübergreifender Stabilität und nachvollziehbarer Entscheidungsstruktur ist crossNN auf dem besten Weg, vom Forschungsprojekt in den klinischen Alltag überzugehen.
Während sich Liquid Biopsy und Nanopore-Sequenzierung zunehmend durchsetzen und klinische Studien voranschreiten, können Ärztinnen, Ärzte und Patientinnen und Patienten auf sicherere, schnellere und individuellere Diagnosewege hoffen.